Bretonische Fischer schildern, wie ihre kleinen Kutter abgelöst werden sollen durch EU-geförderte Schiffe, die dann nicht nur wenige Stunden, sondern Tage auf dem Meer bleiben und in überdimensionierten Netzen dann nicht mehr frischen und entsprechend druckgeschädigten Fisch in die Häfen bringen – Hauptsache Masse und Profit! Das gleiche Bild beim Soja-Anbau für europäischen Fleischverzehr im brasilianischen Amazonasgebiet oder bei der Eibebrütung und Hühnermast.
„We feed the world“, ein Film von Erwin Wagenhofer, gezeigt gestern im Rahmen der Truderinger Zukunftsgespräche in München. Wie 56000 Eier in einen Vorbrutofen geschoben werden, und dann vor allem entsprechend viele Küken auf dem Band wie eine einzige gelbe flauschige Masse in Kisten befördert werden, von den schließlich fließbandartig maschinell getöteten Hühnern am Ende der Produktionslinie mal ganz abgesehen – das ist schockierend und deprimierend.
Umso mehr überrascht der Blick auf den heutigen Wochenendteil der Süddeutschen Zeitung: Unmengen gelber Küken springen einen von einem großen Bild – es macht mehr als die Hälfte der Seite aus – geradezu an. „Erbarmungslos“ ist der Titel des Artikels über unseren gnadenlosen Umgang mit Schweinen, Rindern oder Hühnern. Der Autor, Helmut Schödel, holt richtig weit aus: „Leergefischte Meere, abgeholzte Wälder, weggesperrte Nutztiere, automatische Waschanlagen für Senioren in Japan: Der rigorose Werteverlust der New-Economy-Zeit, der ganze Turbokapitalismus erwies sich schon Ende des letzten Jahrtausends auch als Mittel menschlicher Selbstzerstörung“. Und er verweist auf das deutsche Tierschutzgesetz, in dem es heißt, dass „ohne vernünftigen Grund“ Tieren kein Leid zugefügt werden dürfte. „Aber der Mensch findet immer einen Grund, den er dann vernünftig nennt: das Brathuhn für vier Euro, das Schnitzel für zwofuffzig“.
Er fasst zusammen: „Erstens, für Pessimismus ist es zu spät. Zweitens, die Proteste sind verpufft. Drittens, die Politik versagt. Viertens, jetzt geht es um Lösungen, mit oder ohne Politik. In kleinen Schritten, aber gegen die Uhr, zu zögerlich dürfen wir nicht mehr sein. Die Fakten sind bekannt, der Spielraum ist vertan. … Wir sind die Bürger. Wir haben die Verantwortung, auch für unsere Mitgeschöpfe. Der Letzte macht das Licht aus. Und der wollen wir nicht sein.“
Vielleicht ging es denen in der SZ-Redaktion ja wie mir nach dem Sommerurlaub: nach guter Verdrängung der privaten und globalen Realitäten bricht alles wieder über einen herein. Auffällig ist es schon, wie viele Beiträge in dieser Wochenendausgabe der SZ sich den drängenden Fragen von heute widmen (man muß nur selbst die entsprechenden Querverbindungen herstellen).
Der Beitrag von Jörg Häntzschel über ein neues Buch von Naomi Klein auf der ersten Seite des Feuilletons schließt nahtlos an Schödel an. „Zu den denkbaren Konsequenzen gehört mittlerweile auch das Undenkbare: das Aussterben der Menschheit“. Es geht um die vertanen Chancen beim Klimaschutz. Selbst in der Summe hätten die vielen für sich allein schon unzureichenden Maßnahmen nichts gebracht – in den letzten Jahren sei der CO2-Ausstoß mehr denn je gestiegen. Häntzschel endet mit der Aussage, dass es doch schon genügen würde, die 600 Milliarden Dollar Steuergelder, mit denen jedes Jahr weltweit der Abbau fossiler Brennstoffe subventioniert und damit die Klimakatastrophe festgeschrieben würde, zur Förderung regenerativer Energiequellen auszugeben.“
Da möchte man sich schon am liebsten gleich in eine Höhle zurückziehen wie der obdachlose Amerikaner, von dem weiter hinten im Wirtschaftsteil erzählt wird. Nicht nur weil man diese ganzen Meldungen nicht mehr aushält, sondern vor allem, weil man (in dem Fall: ich) merkt, dass man Teil dieses ganzen Dilemmas ist und eben nicht so einfach daraus aussteigen kann. Vertreter der Postwachstumsökonomie empfehlen, wenigstens die Arbeitszeit (in der ja häufig zur Umweltschädigung fleißig beigetragen wird) zu halbieren, und die restliche Zeit für Selbstversorgung, Sharing und Tauschen von vielem oder einfach nur für Muße zu nutzen. Ja, auch das bedingungslose Grundeinkommen, das einem hier sogleich einfällt, nimmt eine ganze Seite im Wirtschaftsteil der SZ ein, inklusive wohlwollendem Kommentar (und in der Wochenendbeilage – der Vollständigkeit halber ergänzt – findet sich noch ein Bericht über den Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl, der Pflanzen als beseelte Wesen mit Heilkraft ansieht).
Doch genügen symbolischen Handlungen? Kein oder wenigstens weniger Fleisch essen, und wenn, dann bio, zudem weniger arbeiten, sich in Initiativen engagieren und jahrzehntelang entsprechend bei den Wahlen abstimmen? Naomi Klein scheint davon nicht überzeugt zu sein. Häntzschel schreibt dazu: „Klimaschutz ist nicht möglich ohne eine grundlegende Reform des Kapitalismus. Die rechten Agitatoren gegen den Klimaschutz, vor allem in den USA, haben das verstanden. Doch die Linken, so Klein, machen es sich und der Welt weiter vor, es sei Engagement genug, die Lage ernst zu nehmen – und das Auto mal stehen zu lassen“.
Engagement vor Ort ist wichtig, alleine schon um nicht so ohnmächtig zu bleiben. Aber die große Walze der Entwicklungen rollt weiter, das läßt sich leider nicht ausblenden.