„Der Klimaschutz ist weit nach hinten gerückt: es gibt akutere Probleme“, so ein Kommentar in der SZ am letzten Wochenende. Der umjubelte Klimavertrag vom Dezember in Paris – die nötige Kehrtwende hat längst noch nicht begonnen! Stattdessen absorbieren aktuelle Krisen (Finanzkrise, Griechenland, Ukraine, Flüchtlingskrise, Brexit, …) oder persönliche Themen (kaputtes Auto, Ehekrise, Smartphone, Arbeits- und Freizeitstress, …) unsere volle Aufmerksamkeit. Keine Zeit für Nachhaltigkeit!

Exponentielle Entwicklungen seit 1950
(mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Monthly Review)

Aber so ist das eben: trotz Dürren, Stürmen und lokaler Überschwemmungen ist die Umweltkrise (die Grafik mag einen Überblick von ihr geben – vor allem von der großen Beschleunigung seit 1950; zur Vergrößerung einfach auf das Bild klicken!) noch zu wenig spürbar, erscheint noch als weit weg. Sie riecht nicht, tut nicht weh, erzeugt also keinen akuten Leidensdruck, nötigt also nicht zum Handeln. Sie stellt auch keinen Diktator dar, gegen den man demonstrieren könnte. Und wir hier im schönen München leben sowieso in einer privilegierten Zone: gemäßigtes Klima, reichlich Wasser, relativ viel Grün.

Einfache Ursachen und Lösungen sind oft gefragt

Unser Hirn ist aber leider auch nicht geschaffen dafür, so komplexe und dazu jetzt leider auch globale Probleme wie Erderwärmung, Überbevölkerung oder Artensterben zu verarbeiten. Lieber sind unserem Nervensystem einfache Erklärungen, einzelne Ursachen mit klaren Folgen, ein Grund mehr dafür, warum zur Zeit Populisten mit ihren simplen Weltbildern und billigen Schuldzuschreibungen so viel Erfolg haben – die Welt bleibt aber leider weiter so kompliziert wie sie ist.

Dann meinen wir natürlich, ach so schlimm wird es schon nicht sein, oder: das kriegen wir schon hin, neue Technik wird die Probleme schon lösen. Das hilft uns, unerträgliche innere Spannung oder gar Angst wegzudrücken, und auch weiter zu verdrängen. Damit aber schieben wir nur die Probleme weiter vor uns her, wie das Lernen vor der unangenehmen Prüfung. Ansonsten lenken wir uns ab mit Arbeit, Sport, Freizeit, virtuellen Welten. Und schließlich könnten erst mal die anderen was tun – schließlich stoßen die Amerikaner pro Kopf doch viel mehr Kohlendioxid aus als wir!

Frust statt Lust?

Wer sich doch mit diesen unangenehmen ökologischen Themen beschäftigt, läuft Gefahr, sich ohnmächtig zu fühlen und zu resignieren. Zuviel Aufklärung über Missstände erzeugt rasch das Gefühl: „ich kann ja eh nichts tun“. Experten warnen schon vor einer „prätraumatischen“ Störung, die Ökoaktivisten droht, die lange genug vor kommenden Katastrophen warnen (im Gegensatz zur bekannten posttraumatischen Störung nach existenziell bedrohlichen Ereignissen).

Seltsam nur, dass es dann doch noch Menschen gibt, die handeln und sich engagieren. Zumeist sind sie „emotional ergriffen“ (so nannte es schön der Soziologe Hans Joas; der Psychotherapeut in mir kann diesem Begriff nur zustimmen), also traurig, berührt oder auch wütend im Angesicht der globalen Krise. Häufig gibt es bei ihnen noch einen Rest von Naturverbundenheit und ein Wissen davon, dass der morgendliche Spaziergang zum Bäcker einem besser tut als dafür das Auto zu nützen.

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Meditation kann hilfreich sein, im Angesicht der globalen Probleme bei sich zu bleiben (Bildquelle: Philipp Wiebe / pixelio.de)

Philipp Wiebe  / pixelio.de

Auch sind stabile Persönlichkeiten von Vorteil für Umweltengagement: denn es ist nötig, Widerstand leisten zu können, gegen den Massenkonsum, das selbstverständliche Fliegen in Urlaub, gegen den Verpackungswahn und vieles mehr. Auch stellt man durch anderes Verhalten seine bisherige Gruppenzugehörigkeit in Frage, die allerdings ist ein elementares Grundbedürfnis. Aber es ergeben sich wertvolle neue Beziehungen – nämlich zu Gleichgesinnten. Zudem kann es hilfreich sein, gut bei sich zu sein, etwa auch durch Achtsamkeit und Meditation, allein schon durch das Herunterfahren der vielen auf einen einprasselnden Reize, durch Entspannung und Fühlen anderer Werte.

Nachhaltige Lebensführung: Genuss, Ziel und Sinn

Denn mehr Zufriedenheit lässt sich irgendwann durch noch mehr Konsum nicht mehr erreichen. Das Zuviel an Freizeit-, Internet- und Konsummöglichkeiten führt zu burnout-ähnlichen Erscheinungen, zu innerer Unruhe und Unzufriedenheit. Psychologen empfehlen stattdessen 3 Säulen guter Lebensführung: Genusserleben, Zielerreichung und Sinnkonstruktion. All das lässt sich durch Streben nach Nachhaltigkeit erreichen: weniger lässt sich mehr geniessen, Ziele können hier auch persönlich erreicht werden (etwa wenn kaum noch Plastikabfälle zum Container gebracht werden müssen), und Sinn lässt sich etwa durch Engagement in einer Nachhaltigkeitsgruppe mehr als genug herstellen.

Es lohnt sich dann auch, schon erzielte Fortschritte vor Ort zu sehen und zu würdigen: so gibt es im Stadtteil ja zum Glück schon Carsharing, oder einen Wochenmarkt (auf dem man auch mit mitgebrachten Gefäßen einkaufen kann), mehr Bioläden, die Biokiste, einen guten öffentlichen Nahverkehr, ein Repair-Café, Umweltschutzinitiativen wie das Umweltnetz München-Ost, den Bund Naturschutz oder Trudering im Wandel, und auch mehr Leute, die Interesse an diesen Dingen zeigen und zu entsprechenden Veranstaltungen kommen.

Protest, Handeln und neues Denken

Nicht der Einzelne kann die Welt retten, und ist auch nicht verantwortlich dafür, wie es heute auf ihr aussieht. Aber er kann vor Ort etwas tun, und das auf 3 Ebenen: zum Einen weiter protestieren gegen schlechte Entwicklungen (ob es CETA oder TTIP sind, gentechnisch veränderte Lebensmittel oder die 3. Startbahn am Münchner Flughafen), zum Anderen mitwirken am Umbau der Gesellschaft oder auch am vielleicht nötigen Schaffen völlig neuer Strukturen (ein Beispiel dafür wären entstehende Ökodörfer), und schließlich sein Bewusstsein ändern (Bücher lesen, Vorträge hören, meditieren, …), und ggf. auch mitwirken an gesellschaftlichen Bewusstseinsänderungen (etwa durch eigene Organisation von Veranstaltungen).

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Das Ökodorf Sieben Linden in Sachsen-Anhalt: ein Beispiel für neue Strukturen

Keine Zeit für Nachhaltigkeit? Wir haben die Wahl: „Change by design or by disaster“, so haben es Umweltexperten formuliert. Das ist alles eine Frage der Prioritäten. Was ist wichtig? Jetzt?
Daher: Stofftasche und Kaffeebecher in das Tagesgepäck gesteckt, mit dem Rad zum Bioladen gefahren und eingekauft, und vielleicht die Bahncard bestellt, und schon ist schnell (!) viel (!) für Nachhaltigkeit (!) getan!

(Einen Vortrag zum Thema der Überschrift gibt es auf dem Umweltforum des Kulturzentrums Trudering am Freitag, den 15. Juli)

Nachhaltigkeit – ja bitte, aber nicht jetzt!
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