NEU: als ökologisch besorgter Psychotherapeut habe vor, regelmäßig einen Blog zu Öko- und Psychofragen zu schreiben. Denn beides gehört eng zusammen. Warum passiert so wenig Effektives gegen den Klimawandel und die Ökokrise, obwohl soviel darüber wissen?
Man darf sich eine gesunde Portion Wut und Eigenständigkeit zugestehen, um einen klaren Kopf zu behalten in der herrschenden Informationsverwirrung. Dem dient auch mein Buch „Mensch, was nun? Wie wir der ökologischen Krise – begegnen“. Hier habe ich in einem non-profit-projekt verarbeitet, wie wir Gefühle von Ohnmacht in Anbetracht dieser Probleme verarbeiten könnten (siehe auch: www.mensch-was-nun.de )
Thema des ersten Öko-Psycho-Blogs: mehr Innovationstempo wird gefordert, doch haben wir nicht längst gesehen, wohin uns immer mehr und immer schneller führen? Eigentlich wären doch mehr Langsamkeit und Reflexion notwendig, nicht Geschwindigkeit und Konkurrenz!
„Schnell sein ist alles“ – das propagiert der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Hans-Jörg Bullinger, in der Außenansicht der Süddeutschen Zeitung am 5. Januar, immerhin auf Seite 2. Er weist darauf hin, dass vor allem die chinesische Industrie dabei ist, uns Europäer zu überholen, etwa was Elektroautos und Solarkollektoren betrifft. „Tempo ist jetzt das Wichtigste“, meint er. Die Phasen des Festhaltens am Bewährten seien – wenn überhaupt – sehr kurz. Sieger sei, wer Ideen am schnellsten in Nutzen für Kunden umsetze. Der Innovationsdruck nehme zu, und gleichzeitig das Risiko (immerhin, darauf weist er am Rande hin). Doch Geschwindigkeit müsse beherrscht werden.
Das ist schon interessant. Da fordert ein Mitglied unseres Wirtschafts-Establishments, doch mehr aufs Gas zu drücken, noch schneller zu rasen (… und damit noch schneller den Karren unseres Wirtschaftswahnsinns gegen die Wand zu fahren, woran er aber sicher vorher noch gut verdient), meint aber, dies dann doch noch beherrschen zu können. Von Entschleunigung, der Kraft der Langsamkeit, der Notwendigkeit, Einführungen zu reflektieren, um Folgeprobleme klein zu halten, von alldem hat er offenbar noch kaum etwas gehört. Stattdessen erfolgt weiter die Proklamation von Konkurrenz und Power.
Das passt zum „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“, das dieser Tage im Bundestag verabschiedet wurde. So nachhaltig und klimafreundlich sich die Kanzlerin gerne in Kopenhagen oder ihrer Neujahrsrede gibt – es bleiben Floskeln, die das starre Festhalten am alten System verschleiern, ja vielleicht bewusst verschleiern sollen. Da nimmt sie sich einen jungen, noch nicht mal 40-jährigen Gesundheitsminister ins Kabinett, der die Umstellung des Gesundheitssystems auf eine einheitliche Kopfprämie (per se schon unsinnig: wieso soll der besser verdienende Angestellte nur genauso viel in die Krankenversicherung einzahlen wie der einfache Arbeiter?) mit zukünftigem Wachstum und dadurch irgendwann erzielten Steuereinnahmen finanzieren will.
Geht’s noch? Dieser ungedeckte Scheck auf die Zukunft: das wird doch seit Jahrzehnten schon erfolglos praktiziert! Oder woher kommt sonst der stetig wachsende Schuldenberg? Leidet da jemand an „Wachstumswahnvorstellungen“? (Definition von Wahn: das unkorrigierbare Festhalten an falschen Tatsachen)
Warum muss ein „Weniger und Langsamer“ immer so einen negativen Touch haben? Gerade in der zurückliegenden ruhigeren Zeit haben wir das doch auch genossen. Es täte auch sonst unserer inneren Unruhe so gut, mal weniger „innovativ“ zu sein, also nicht ständig etwas neues zu beginnen, ohne das alte abgeschlossen und verarbeitet zu haben.
Vielleicht ist aber Bullinger nur ein verkappter Grüner, der indirekt die möglichst schnelle Einführung klimafreundlicher Elektroautos und Sonnenkollektoren einführen will? Er traut sich das nur nicht so sagen, denn sonst wird er ja – wie andere Grüne und ökologisch Besorgte – am Ende nicht ernst genommen? Schön wär’s.
Denn auch die schönsten Ökoprodukte verbrauchen Ressourcen und Energie, und verkaufen uns die Illusion, dass wir ja an unserem Lebensstil von Konsum, Mobilität und Wachstum nichts ändern müssen. So lange wir aber am „falschen Wirtschaftssystem“ festhalten, ändert sich insgesamt gar nichts – und auch das stand kürzlich in der Süddeutschen Zeitung, leider nur in einem hinteren Zeitungsteil!