Eigentlich …
… wollte ich ja heute über die zunehmende Vernetzung und Digitalisierung schreiben; darüber, dass jeder zweite Mensch weltweit ein Smartphone hat, in das er sich bis zu 60mal täglich einloggt, was seiner Aufmerksamkeitsleistung sicher gut tut; darüber, dass damit die Entfernung von irgendwelchen natürlichen Lebensgrundlagen umso größer wird, und das Gefühl, diese schützen zu wollen, dafür umso kleiner; darüber, dass die Datenflut (Big Data) immer größer wird, und wir die Daten dooferweise ja selbst zur Verfügung stellen, so dass facebook, google und amazon ihre Absatzstrategien danach ausrichten können, und Versicherungen schon Boni dafür gewähren, dass Infos über Blutdruck und Puls regelmäßig übermittelt werden; oder darüber, dass diese Überwachung nebst anderen Formen immer weiter geht (NSA u.a.), nur darüber keiner mehr redet; und auch darüber, warum die meisten Menschen all den neuen Trends so automatisch wie Herdentiere folgen, ohne zu merken, was da eigentlich schleichend geschieht.
Dann kamen mir Gedanken über das Bloggen an sich; darüber, welchen Sinn diese autistischen Selbstgespräche und Rufe ins weite Netz überhaupt haben, ähnlich als würde ich mich auf einen einsamen Berg stellen, mit dem Weltall kommunizieren und auf Widerhall warten; darüber, dass jede Minute Zeit dafür vor dem Computer eigentlich wieder eine verlorene Minute ist, in der ich nicht im Grünen oder im Garten war, was mir die Chance gäbe, die vielfach beschriebenen guten Wirkungen von Pflanzen und Tieren zu verspüren.
Schließlich …
… besann ich mich meines Psycho-Berufes und ging dazu über, mir wieder einmal die Ursachen für die enorme Kluft zwischen Wissen und Handeln anzusehen. Englische Artikel aus Faulheit eigentlich vermeidend bekomme ich ab und zu von einem Freund Hinweise darauf, und kämpfe mich dann doch – mit einem Lexikon im zweiten Fenster – durch die hier beschriebenen umweltpsychologischen Aspekte.
Ohnmacht und erlernte Hilflosigkeit angesichts der heutigen Komplexität
So beschreibt Mary Pipher, eine kanadische Therapeutin und Autorin, ihre Gefühle beim Gedanken daran, dass sie sich zwar so sehr bemüht darum, dass ihre Enkelkinder sich gesund ernähren und regelmäßig Zähne putzen, auch würde man sich ja um jeden kleinen Kratzer und Insektenstich bei ihnen kümmern, aber welche Großeltern hätten schon dafür gesorgt, dass ihnen eine Zukunft mit sauberer Luft und Wasser und gesunden Ökosystemen bleibe!
Nach etlichen Hitzewellen und Bränden 2010 war sie in eine richtig depressive Stimmung verfallen bei der Erkenntnis, wie weit die Zerstörung unserer Welt schon vorangeschritten war (der Artikel ist aus 2012). Am liebsten hätte sie mit allen Freunden darüber diskutiert und sie wach gerüttelt, aber sie wollte ihnen ja nicht die Stimmung verderben. Schließlich besann sie sich, dass sie etwas zu tun statt gelähmt zu bleiben schon oft als heilsam erlebt hatte. Sie lud Freunde ein, und es entstand eine kreative Initiative gegen die große Pipeline von Kanada nach Nordamerika, die das aus den Teersanden dort geschürfte Öl transportieren soll.
Sie erzählte irgendwann ihren Enkeln davon, dass es in ihrem Kindesalter noch keine Fernseher, keine Handys, kein Internet, keine Tempomaten, Navis, computerisierten Spielzeuge, Laptops, Videorekorder, Kopfhörer und keine Mikrowelle gab. Die Liste wurde so lang, dass ihr Enkel schließlich fragte: „Oma, gab es denn Äpfel, als du ein Mädchen warst?“ Wir sind, führt sie weiter aus, mit zu viel Information bombardiert, mit zu vielen Wahlmöglichkeiten, und zu viel Komplexität. Unsere Problemlösefähigkeiten haben evolutionär damit nicht Schritt gehalten. Wir sind gehetzt, gestresst, müde und verunsichert. Es gibt keine einfachen Probleme mehr.
Allein schon der Klimawandel führt, so schreibt sie, zu Ohnmachtsgefühlen, zu dem Verhalten: Wir wissen nicht, wie wir darauf reagieren sollen, also reagieren wir nicht. Auf diese Art entwickeln wir die aus der Depressionstheorie bekannte „erlernte Hilflosigkeit“, und unser Gefühl, wir seien machtlos, wird zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Sie erkennt Parallelen unserer heutigen Kultur der Verleugnung zum vorsätzlichen Ignorieren vieler Deutscher während des Holocaust. Und während aerodynamische Gesetze, der DNA-Code oder die Existenz ferner Galaxien nicht in Frage gestellt würden, nimmt die Zahl der Skeptiker, was die globale Erwärmung betrifft, aktuell sogar wieder zu (was auch Naomi Klein in „Kapitalismus versus Klima“ beschreibt).
Vom Hadern zum Handeln
Aber ohne den Problemen ins Gesicht zu sehen ist eine Reaktion darauf kaum möglich. Verzweiflung kann ein Antrieb sein. Und jede Handlung und Nicht-Handlung (z. B. der Nicht-Kauf des neuesten Smartphones) wiederum lehrreich für andere. Aber das Rennen zwischen dem menschlichen Bewusstsein und den chemischen und physikalischen Gesetzen bleibt offen. Noch wissen wir nicht, so Pipher, in welcher Zeit wir leben, ob wir einem Ende nahe sind oder ob es ein Beginn einer wieder entstehenden Verbindung zu unserer Umwelt sein wird. Die Bedeutung unserer individuellen Handlungen könnten wir nicht wissen, aber wenigstens so tun, als wären sie bedeutend. Das könne nur gut für die Erde sein, und außerdem, so die Frage am Schluss des Textes: „was ist schon unsere Alternative?“
Das kann ich alles gut unterschreiben. Mein eigenes „wake-up“-Erlebnis war vor 8 Jahren die Lektüre des 30-Jahres-Updates von „Grenzen des Wachstums“. Seitdem bin ich durch viele Täler der Verzweiflung im Angesicht der globalen Entwicklung gegangen, habe darüber Artikel und ein Buch geschrieben, Vorträge gehalten und viel diskutiert – und bin selbst doch immer noch so weit entfernt davon, ein „ökologisch korrektes“ Leben zu führen. Flugverkehr, Konsum, Ressourcenverbrauch, CO2-Ausstoß und Artenvernichtung sind außerdem in dieser Zeit weiter gestiegen – nicht gerade ermutigend.
Nach langem Hadern habe ich es nun – nach 8 Jahren wohlgemerkt – wenigstens geschafft, zu einer weiteren Dimension des Tuns zu kommen, nämlich die Gründung einer Nachhaltigkeitsinitiative in meinem Stadtviertel mit anzustoßen. Das Dumme ist nur, dass wir global nicht mehr die Zeit haben, nochmal 8 Jahre und nochmal 8 Jahre und nochmal 8 Jahre und nochmal … damit zu verbringen, unser Bewusstsein zu schärfen, den Weltschmerz zu spüren, aus der ökologischen Depression langsam wieder rauszukommen, Flyer zu schreiben und Filme zu zeigen, und im Großen politisch das Für und Wider einer Treibhausgasreduzierung zu diskutieren. Etliche Autoren schreiben, dass uns nicht mehr 50, sondern allenfalls 10 Jahre dafür bleiben, die entscheidenden Weichen zu stellen.
Dies ist wohl kaum anders auszuhalten, als das große Ganze doch wieder in den Nebel der Verleugnung zu versenken. Ansonsten bleibt mir nur, gelegentlich den Nebel vieler elektronisch beschäftigten Mitmenschen zu durchstoßen, weiter ins All zu rufen* und zumindest um sich herum zu schauen, was man selbst so ein bißchen tun kann – über die Solaranlage auf dem Dach, den sparsamen Autogebrauch, den Verzicht auf Flugverkehr oder Biokonsum hinaus – und es dabei wenigstens mit netten Gleichgesinnten zu tun zu haben, die immer öfter auch nicht mehr einfach nur mitlaufen wollen.
P.S. Der Stern, sonst nicht gerade ein umweltpolitisches Kampfblatt, schreibt heute zur „Zahl der Woche“: „13,6 Grad Celsius – die Durchschnittstemperatur in diesem März auf der Welt. Damit war es der wärmste März, der je gemessen wurde; 0,09 Grad über dem bisherigen Spitzenwert von 2010. Klimaexperten erwarten ein Rekordjahr.“
P.P.S. SORRY, Future Generations!
Gestern war Earth Day. Hier ein Beitrag des Rappers Prince Ea dazu, er entschuldigt sich bei zukünftigen Generationen für die Abholzung des Regenwaldes und den Klimawandel. Ein (kurzer) Film mehr, seit gestern just auf Facebook schon millionenfach gesehen, der etwas bewegen will:
(*: bin ganz überrascht: die von mir technisch noch nicht ganz durchschaute Statistik-Funktion zeigt täglich doch einige Blicke („views“) auf den Blog an. Für ein unbeliebtes Thema schon mal was.)