Im Gespräch mit anderen Eltern über die Smartphonesucht der kids. Ich räume ein, dass ich es schon grundsätzlich verstehen könne, dass man in die virtuelle Welt flüchtet, wenn die reale Welt schon so bescheiden ist * (Anmerkung siehe unten). „Wieso bescheiden? Ist doch alles okay in der realen Welt!“, meinte der andere Vater.
Ja, ist es vielleicht schon, wenn man den irrsinnigen Rohstoffverbrauch durch unseren Konsum, das Verschwinden freier Flächen, die ansteigenden Temperaturen und das Artensterben gut ignorieren kann (und stattdessen den nächsten Urlaubsflug bucht). Die Entwicklungen vollziehen sich ja schleichend, sind immer noch kaum wahrzunehmen. Was wiederum auch damit zusammenhängt, dass wir vor lauter Sitzen am PC oder im Auto wohl auch kaum wahrnehmen können, was eigentlich so los ist.
Das Gebot der guten Laune durchbrechen
Sind die Verdrängungsschranken durchbrochen, gerät man – ich z. B. – schnell in eine „ökologische Depression“, die hier im Blog wohl oft genug durchscheint, und aus der so leicht nicht rauszukommen ist. Daher stürze ich mich gerne auf neu erscheinende Bücher, in der Hoffnung, nach der ausführlichen Problemanalyse am Schluss doch noch auf neue, einfacher umzusetzende Lösungen zu stoßen (meist Fehlanzeige!). Das Buch „Hoffnung durch Handeln“ von Joanna Macy und Chris Johnstone kann zumindest etwas Mut machen.
Es werden andere Sichtweisen zum bedrückenden Thema gegeben. So ist es hilfreich, das eigene Leben in den großen Kontext des Lebens auf dieser Erde einzuordnen. Das gibt es hier seit über drei Milliarden Jahren. Da verblasst die Bedeutung des eigenen Daseins doch etwas, und nimmt den Druck, nun alles in Ordnung bringen zu müssen. Was ja nicht daran hindern muss, trotzdem mal den Mund aufzumachen und damit ein Stück Kindheitserziehung zu überwinden: „Von früh an wurden wir dazu angehalten, uns zusammenzureißen, ein fröhliches Gesicht zu machen oder den Mund zu halten“. Der Blick auf diese Welt verlangt, die eigenen Nöte nicht mehr zu verschweigen.
Geteiltes Leid ist halbes Leid (abgedroschen, stimmt aber immer noch)
Natürlich entsteht dabei oft eine Lähmung, nicht zu wissen, was man tun soll, oder ob es sich überhaupt noch lohnt. Trauer und Wut können jedoch Energie liefern, und zur Verbindung mit anderen führen, denen es ähnlich geht – vorausgesetzt, man tauscht sich darüber aus. Eine Krise wie die schmerzhafte Erkenntnis der ökologisch-gesellschaftlichen Katastrophe kann ein Wendepunkt werden, vor allem dann, wenn sie dazu motiviert, Kontakt zu anderen aufzunehmen (die Zugehörigkeit zur Konsumgesellschaft allerdings könnte darunter leiden!).
Die Autoren betonen vier Aspekte beim Übergang zum Handeln: zum einen die Kraft innerer Stärken, die spürbar wird, wenn man sich auf die Herausforderungen einmal eingelassen hat, dann die Kraft, die aus der Zusammenarbeit mit anderen entsteht. Zum Dritten entfalten auch kleine Schritte eine subtile Wirkung, die erst sichtbar wird, wenn man sie im Zusammenhang mit kleinen Schritten Anderer betrachtet. Schließlich kann eine inspirierende Vision hilfreich sein, eine Idee davon, wo man eigentlich hin will mit seinem Engagement.
Abgesehen davon, dass man sowieso nie genau vorhersagen kann, was kommt, also auch, ob die angekündigten Katastrophen so kommen wie erwartet, ist es auch gut, sich nicht allzu sehr von sichtbaren Erfolgen abhängig zu machen. Zum Umsteuern bleibt zwar nicht mehr viel Zeit, dennoch werden manche Effekte heutiger Bemühungen sich vielleicht erst in Jahrzehnten auszahlen, was ich eventuell gar nicht mehr mitbekomme. Zumindest kann ich durch mein Tun die visionsartig angestrebte Zukunft ein wenig wahrscheinlicher machen, und kann diese Möglichkeit durch gegenseitige Unterstützung mit anderen noch erhöhen. Die Dinge müssen nicht so statisch sein wie die Schrift oder Darstellung in einem Bild, sondern sind eher ein Prozess und eine Entwicklung wie ein ablaufender Film (bei dem ich auch nicht weiß, was als nächstes passiert).
Raum zum Denken und Fühlen
Um handlungsfähig zu werden, braucht es überhaupt erst einmal einen inneren Raum, um auf sinnvolle Gedanken und Ideen zu kommen. Unsere Aufmerksamkeit ist aber voll in Beschlag genommen vom hektischen Alltag. Vielleicht beim Joggen, Wandern oder im Urlaub entsteht einmal diese Ruhe (oder kreative Langeweile), die für eine gewisse Inspiration nötig ist. Also landen wir wieder bei der heute so oft gepriesenen Entschleunigung, für die auch schon ein gewisser Mut erforderlich ist, nämlich das tägliche Hamsterrad einmal für sich in Frage zu stellen und zu schauen, wo das Tempo vielleicht doch beeinflusst werden kann.
Dann entsteht vielleicht eine Vision für eine zukünftige lebenserhaltende Gesellschaft, etwa mit sauberer Luft, erneuerbaren Energien, weniger Verkehr, einem entlastendem Lebensstil freiwilliger Einfachheit oder auch einem ökologischen Bewusstsein auf breiter Basis (das wünsche ich mir ja insgeheim oft, ist also auch eine Vision). Die Autoren regen an, von diesen hohen Zielen jeweils rückwärts zu gehen und z. B. zu fragen, was wir denn brauchen für eine saubere Luft oder weniger Autos und Lastwagen. Für jedes Ziel und Zwischenziel lässt sich das runterbrechen, bis man schließlich bei sich und im eigenen Umfeld angekommen ist.
Von „unrealistisch“ zu „real“
Vieles mag ja utopisch klingen, aber zu Recht wird darauf hingewiesen, dass in der Geschichte so manches als aussichtsloser Traum abgetan wurde, was heute längst Realität ist: etwa das Wahlrecht der Frauen in fast allen Ländern der Welt, oder dass ein Afroamerikaner Präsident der USA werden konnte, oder dass die Apartheit in Südafrika überwunden wurde, oder auch die heute selbstverständliche, aber früher als ketzerisch verfolgte Erkenntnis, dass die Erde um die Sonne kreist. Fast jeder wird in seiner eigenen Lebensgeschichte Situationen kennen, die unüberwindbar erschienen, aber mit Beharrlichkeit gelöst werden konnten, oder deutlich später sich plötzlich als weniger schlimm oder sogar gut darstellten.
In diesem Buch wie in manch anderem wird der „Große Wandel“ beschworen. Das hilft vielleicht, sich zu einer weltumspannenden Entwicklung zugehörig zu fühlen. Die Transition-Town-Initiative etwa, die Gemeinden und Städte vorbereiten will auf die kommenden Zeiten mit Peak everything und spürbarem Klimawandel, ist weltweit in Tausenden Kommunen mittlerweile zu finden. Und doch wird hier, betrachtet man die großen Abläufe, für mein Gefühl etwas zu stark eine Entwicklung eher herbei geschrieben, die doch nur einem kleinen Pflänzchen insgesamt bisher entspricht.
Dem Chaos standhalten ohne verrückt zu werden
Trotzdem finden sich im Buch weitere wertvolle mentalen Antidepressiva. Hilfreich ist es,
- sich den Schmerz um diese Welt einzugestehen,
- sich mehr Ruhe und damit Raum zu gönnen,
- dabei auch wieder den Zugang zur „Natur“ (bzw. den Resten von ihr) zu finden
- lokal vor Ort sich Gleichgesinnte zu suchen,
- sich mit ihnen zu engagieren und die kleinen Schritte zu gehen,
- die dabei vielleicht entstehende innere Befriedigung, nun etwas Sinnvolles zu tun, wahrzunehmen und vielleicht für Momente einen „Flow“ zu spüren
- und insgesamt die Ungewissheit auszuhalten, ob sich die Mühe lohnt, und was so alles passieren wird. Hier einer meiner Gute-Laune-Killer-Gedanken:
„Was hilft es schließlich, sich um die Besserung der Welt zu bemühen, wenn eine Katastrophe doch unausweichlich scheint?“
Das ist sie oft, etwa auch wenn wir krank sind, wenn wir mit kranken und süchtigen Menschen arbeiten, wenn Lebenssituationen hoffnungslos und unveränderlich erscheinen. Daher hier einer der Hoffnungs-Stärkungs-Gedanken aus dem Buch:
„Wenn wir wissen, dass die Zukunft noch nicht entschieden ist, haben wir Raum dafür, dass künftige Geschehen zu beeinflussen“.
Geheilt ist meine ökologische Depression dadurch bei Weitem nicht. Die voranschreitende Entwicklung reißt mich immer wieder runter. Dann werde ich hier oder im Buch nochmals nachlesen müssen. Das Buch von Joanna Macy und Chris Johnstone ist, auch durch seinen humanistischen Ton und die vielen praktischen Übungen, äußerst lohnenswert – und zum Glück nicht esoterisch abgehoben. Es ist eine Unterstützung dabei, „dem Chaos standzuhalten ohne verrückt zu werden“ (Untertitel des Buches!).
Anmerkung:
* Jorgen Randers, einer der Autoren von „Grenzen des Wachstums“ von 1972, gibt in seinem 40-Jahres-Rück-und-Ausblick („2052“) 20 persönliche Ratschläge, dabei auch:
„Investieren Sie in hochwertige Unterhaltungselektronik als Ersatz für die Realität“, und:
„Erziehen Sie ihre Kinder nicht zu Naturliebhabern“,
denn im ungünstigsten Fall würden die Kinder ihr Leben lang unglücklich, weil sie mühsam die falschen Werte gelernt hätten. Es gebe immer weniger Wildnis und schöne Naturplätze, weshalb der Weg dahin immer weiter würde, so Randers. Daher seine Schlussfolgerung:
„Wenn Ihr Kind also das nächste Mal am Computer sitzt, Ihrer Meinung nach aber im Freien an einem Lagerfeuer sitzen sollte, sagen Sie lieber nichts. Wenn Sie Ihrem Kind beibringen, die Einsamkeit der unberührten Wildnis zu lieben, wird es etwas lieben, das es immer seltener geben wird“.